Ein Vater, der seine Frau und Kinder beschützt, Brüder, die sich für ihre Schwester mit anderen Jungs prügeln, und eine hysterische Ehefrau mit wenig Screentime – was nach einem chauvinistischem 50er-Jahre-Streifen klingt, ist tatsächlich der erfolgreichste Film 2022: Avatar: The way of water.

Eine Rezension von Annika Gebhard

Der kanadische Regisseur James Cameron hat sich für sein Sequel zu Avatar, dem kommerziell erfolgreichsten Film der Geschichte, ganze dreizehn Jahre Zeit gelassen, außer einer Weiterentwicklung der videografischen Realisierung hat das der Qualität des Films allerdings nur wenig gebracht. Die Story ist eine aufgewärmte Version des Vorgängerfilms: Die bösen Menschen wollen die guten Na’Vi, die Einwohner des Planeten Pandora, ihrer Ressourcen berauben. Bei der entstehenden Konfliktaustragung kommt jeder Militärfetischist vollends auf seine Kosten, der erste Teil des Films, der noch im blühenden Urwald Pandoras spielt, wird von Menschen in Na’Vi-Körpern mit halbautomatischen Gewehren und engsitzenden Tarnwesten durchschritten und fühlt sich an wie der Vietnam-Krieg in Blau. Im späteren Teil gibt es dann ein ganzes Arsenal an futuristischer Marine-Ausrüstung zu bestaunen, die im vom CGI-Feuer dominierten Finale langsam verkokelt. Doch James Cameron hat den Waffen-Fetischismus mittlerweile selbst satt, so hat er ganze zehn Minuten an reinem Action-Geballer im Schnitt
nachträglich gekürzt:

I look back on some films that I’ve made, and I don’t know if I would want to make that film now. I don’t know if I would want to fetishize the gun, like I did on a couple of Terminator movies 30+ years ago, in our current world. What’s happening with guns in our society turns my stomach. [1]

Er will mehr sein als der bloße Action-Regisseur, so ist die Avatar-Reihe für ihn ein umweltpolitisches Statement, mit dem er auf die Klimakatastrophe und das Artensterben aufmerksam machen will. Ironischerweise gab es dann bei der Japan-Premiere von Avatar 2 trotz emotionaler Walfang-Storyline, die selbst eingefleischten Nicht-Veganern eine Träne entlocken kann, unter Applaus von Cameron höchst persönlich eine Delfin-Show.[2]

Neben dieser und mehr Ungereimtheiten irritiert Avatar 2 aber vor allem aufgrund seines patriarchalen und paternalistischen Geschlechter- und Familienbildes. Man könnte meinen, die dreizehn Jahre inklusive MeToo-Bewegung und der anhaltenden Debatte über mehr Diversität im Film hätten dazu beitragen können, dass das Produktionsteam eines so teuren Films über seinen Einfluss und seine gesellschaftliche Verantwortung reflektiert. Nichts dergleichen ist jedoch passiert und es scheint als hatten James, Jon und Josh zu viel Zeit in die Weiterentwicklung von CGI-Effekten und Unterwasserkameras gesteckt, anstatt über die genderpolitischen Implikationen ihrer misogynen Storyline nachzudenken. Es ist beeindruckend, wie man es schafft, einen neuen Planeten mit anderen physikalischen Bedingungen, neuen Lebewesen und spirituellen Pflanzen zu kreieren, ohne auch nur eine einzige nicht heteronormative Beziehung zu erzählen. Die Na’Vi sind blaue Wesen mit anderen Körpereigenschaften und Fähigkeiten, alles an ihnen ist anders als beim Menschen, außer ihre Geschlechtlichkeit. Anstatt die Chance zu nutzen und beispielsweise genderlose oder genderfluide Figuren zu kreieren, wie es andere Science-Fiction Autor:innen bereits getan haben (siehe z.B. Ursula K. LeGuins The Left Hand of Darkness), gibt es bei Cameron nur altbackene Binarität: die starken, kriegerischen Männer, die stets die Anführer eines Stammes sind, ihre Familie beschützen und die wichtigen Entscheidungen treffen, und die fürsorglichen, Care-Arbeit leistenden Frauen, die trotz aller Nacktheit der Na’Vi anders als die Männer eine knappe, aber niemals verrutschende Oberbekleidung tragen.

Es ist Jake Sully, der in Teil 1 ein Fremder auf Pandora war und die Gesetze der Na’Vi erst lernen musste, der jetzt das Kommando angibt und beschließt, wann seine Familie wohin zu gehen hat. Er bewahrt den kühlen Kopf, wenn es brenzlig wird und beweist im primitiven Faust-Endkampf mit seinem Antagonisten seine Männlichkeit. Neytiri, seine Frau und berüchtigte Kriegerin, ist dabei lediglich sein Sidekick. Ihre vermeintliche Wut wirkt wie unkontrollierte Hysterie und von dem Gegner Colonel Miles Quaritch wird sie mehrfach als „crazy“ bezeichnet. Sie ist für ihn trotz ihrer kämpferischen Kraft keine ebenbürtige Gegnerin, sondern nur „Mrs. Sully“, die verrückte Ehefrau von Jake, seinem eigentlichen Opponenten. Auch bei Jake und Neytiris Kindern setzt sich die klassische Rollenverteilung fort: die Jungs, die ihren Vater ausschließlich mit „Sir“ anreden, gehen jagen und kämpfen, ihre Schwester Kiri passt auf die jüngste Schwester auf und verliert sich in der ästhetischen Betrachtung der Unterwasserwelt, die mit ihren Feenflügeln und Glitzerschwärmen einen Gastauftritt von Barbie Mariposa erwarten lässt.

Die Handlungsträger der Geschichte – Jake Sully, sein Sohn Lo’ak, sein Adoptivsohn Spider und dessen biologischer Vater Colonel Miles Quaritch – sind alle männlich und beanspruchen bei weitem die meiste Screentime. Das Männerbild, das dabei vor allem von Jake Sullys Onelinern gezeichnet wird, reproduziert ein toxisches Verständnis von Genderrollen. Würde man ein Trinkspiel daraus machen, wie oft Jake betont, dass Männer die Aufgabe haben, ihre Familie zu beschützen, wäre man besoffen, bevor der erste Wal stirbt. Frauen spielen in Avatar 2 eine marginale Rolle und diese größtenteils in ihrer Funktion als Mutter, keine für den Plot relevante Entscheidung wird von einer weiblichen Figur getroffen, sie sind ausschließlich reaktiv am Geschehen beteiligt. Es überrascht demzufolge nicht, dass das kreative Team für Regie, Produktion, Kamera, Editing, Musik und Drehbuch des Films, abgesehen von der Ehefrau von Drehbuchautor Rick Jaffa, Amanda Silver (die beiden haben einen gemeinsamen Wikipedia-Artikel), ausschließlich männlich ist.

Avatar: The way of water hätte mit dem Produktionsbudget von über 400 Millionen US-Dollar viel Sinnvolles tun können. Man mag nur hoffen, dass für die angedrohten weiteren Teile vielleicht die ein oder andere nicht-männliche Person Teil der Crew wird und die Story etwas mehr zu bieten hat als diese anachronistische Zeitverschwendung.

© Disney

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One response to “Avatar 2 — Misogynie und Walfang”

  1. Dieser text ist für Avatar was die Luftflotte für den Heimatbaum in Teil Eins ist

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