Mit seinem neuen Film Roter Himmel lädt Christian Petzold auf einen Kurztrip an die zugleich stets unterkühlte und doch von Waldbränden umzingelte Ostseeküste ein. 

Eine Rezension von Annika Gebhard

Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel and Enno Trebs in Roter Himmel by Christian Petzold, © 2023

“Love’s gonna make us, gonna make us find” haucht uns die Leadsängerin Anna Wallner der österreichischen Familien-Band Wallners im Titelsong von Christian Petzolds neuem Film Roter Himmel zu, der bei der Berlinale den Silbernen Bären gewonnen hat. Der Song in my mind, den Petzold gleich drei Mal einsetzt, schleicht sich ins Ohr und macht empfänglich für die mystischen Schwingungen des Films.

Roter Himmel nimmt uns mit auf eine Workcation der beiden Freunde Leon und Felix an die Ostseeküste auf ein malerisches Waldgrundstück inklusive halbmarodem Ferienhaus, das Felix Eltern gehört. Leon, ein junger Autor, der gerade an seinem zweiten Buch schreibt und vom Erfolg seines Debütromans zugleich unter Druck gesetzt und mit Selbstbezogenheit verwöhnt ist, beweist von Anfang an seine Unfähigkeit abschalten und sich auf eine lockere Sommerferienatmosphäre einlassen zu können.

Einen Shakespeare’schen Sommernachtstraum vorbereitend stoßen zu den beiden bereits bekannten Figuren zwei weitere hinzu: die mysteriöse Nadja und ihr Urlaubsflirt, der bodenständig wirkende ‘Bademeister’ Devid, der schon bald nicht mehr nur in Nadjas Bett zu Gast ist. In vom niemals ganz dunkel werdenden Blau umhüllten Nächten beobachten die vier die vermeintlich fernen Waldbrände, die trotz ihrer akuten Bedrohung keine tatsächliche Panik bei den ProtagonistInnen auslösen.

Sie, allen voran Leon, sind viel zu sehr mit ihren Befindlichkeiten und persönlichen Niederlagen beschäftigt. Denn sein Buch, an dem er vorgibt, intensiv zu arbeiten, stellt sich, anders als von einem Talentstorys à la Hollywood gewöhnten Publikum erwartet, als Enttäuschung heraus: Ungläubig wartet man auf eine würdevolle Rettung des Protagonisten und wundert sich über die Radikalität, mit der die Erwartung an das konventionelle Erfolgsnarrativ in filmischen Geschichten über (kreative) Professionen gebrochen wird. Auch die Literaturwissenschaftlerin Nadja hat trotz offensichtlicher Kompetenz das Stipendium für ihre Doktorarbeit nicht bekommen und muss nun den Sommer über in einer Eisdiele arbeiten. Statt an seiner Fotografie-Mappe für die Bewerbung an der Universität der Künste zu arbeiten, geht Felix lieber schwimmen und repariert das Dach des Ferienhauses. Seine Prokrastination in diesem unsicheren Schwebezustand des Bewerbungsprozesses, der seinen weiteren Lebensweg entscheidend beeinflussen kann, wird vielen jungen Zuschauer*innen sehr bekannt sein.

Der Film schafft es so auf verblüffend ehrliche Weise, Figuren zu erzählen, die zu Beginn ihres Berufslebens mit Niederlagen und Ungewissheiten konfrontiert werden, ohne dabei eine neoliberale “Du brauchst nur das richtige Mindset”-Haltung als Lösung zu propagieren. Vielmehr traut sich Roter Himmel unangenehme Stimmungen und negative Gefühle auszuhalten und wird so zu einem ganz und gar unkitschigen Film.

Trotz dieser Klarheit ist Raum für mystische und träumerische Momente, die zusammen mit der dramatischen Eskalationsspirale des letzten Viertels wieder zum Titelsong zurückführen: in my mind lässt sich programmatisch für die Verbindung des Realen und Romanhaften, des trockenen Ostseesommers und der Magie des leuchtenden Meeres, der enttäuschten Erwartungen und tragischen Schicksalsschläge verstehen. So wird die Liedzeile „Love is gonna make us find“ durch den Nachsatz „in my mind“ relativiert, der der Schlüssel zu Christian Petzolds vielschichtigem Film zu sein scheint.


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