Fünf Roma Schauspieler und ein weißer ungarischer Regisseur erproben in Theatern zwischen Ungarn und Deutschland die (anti)rassistischen Grenzen der heutigen Kulturindustrie.
Eine Rezension von Francesco Fritz
“To every white person in the room, this movie will make you uncomfortable, and please remember, White Saviorism is also a form of racism. To every person of color, I’m sorry.”
Mit diesen Worten führt der Regisseur Ádám Császi persönlich in die Aufführung von Three Thousand Numbered Pieces (2022) auf dem 33. Filmfestival Cottbus ein. Bereits die ersten Szenen scheinen dabei eine nahtlose Fortsetzung des Eingangsstatements Császis zu sein. Fünf Roma-DarstellerInnen und ein weißer ungarischer Regisseur inszenieren zwei Theaterstücke in Ungarn. Die Darsteller sprechen wieder und wieder das Publikum im Theater an oder direkt in die Kamera: Dies ist die gelebte Erfahrung einer Roma-Person, dies ist eure Erwartung, die ich hiermit durchkreuze, dies ist Wut, und dies sind eure scheinheiligen Schuldgefühle. Die weiße Zuschauerin wird auf Schritt und Tritt in ihren rassistischen Gedankengängen verfolgt und immer aufs Neue in einer progressiven Analyse und Dekonstruktion rassistischer Betrachtungsweisen von Roma-Personen ertappt. Während anfangs die Theateraufführungen als Mittel dienen, um den Roma mehr Sichtbarkeit und Ermächtigung zu verleihen, rücken zunehmend die ausbeutenden Absichten des Regisseurs und des gesamten kulturellen Produktionsapparates in den Vordergrund.

Dieses antagonistische Machtgefälle wird im Laufe des Filmes immer deutlicher entlang einer rassistischen Aufteilungslinie zwischen weißen[1] und nicht-weißen[2] Figuren: der ungarische Regisseur, der Berliner Theaterintendant, die Presse und alle an der Inszenierung der Aufführung Beteiligten einerseits und die fünf Roma-SchauspielerInnen andererseits. Worum wird gerungen? Diejenigen zu sein, die entscheiden, wie und was vom Leben der Roma zur Darstellung kommt. Schon bald zeichnet sich aber ab, dass diejenigen, die diese Inszenierung steuern, die selbstinteressierten weißen Figuren sind. Während diese zunehmend die Theaterstücke zu einem Vorzeigeobjekt der Diversität und Ermächtigung aushöhlen, werden die Roma-DarstellerInnen zu reinen Requisiten entmündigt. Diesen steht dann nunmehr Gewalt oder Austritt als Reaktion offen, bis sie am Ende des Films unzeremoniell wieder nach Ungarn entlassen werden.
Dank der Vielschichtigkeit seiner Erzählebenen (der im Film produzierten Theaterstücken, den in den Theaterstücken dargestellten Erzählungen aus dem Leben der Schauspieler, und ständigen Einrisse der vierten Wand auf allen Ebenen der Erzählung) vervielfältigen sich die Metakommentare, die Satire und das Rütteln an den Möglichkeiten einer ermächtigenden oder ausbeutenden Darstellung von nicht-weißen Menschen. Die Frage, die sich der Zuschauerin immer wieder aufdrängt, ist, wie können Roma-Menschen außerhalb von rassistischen Stereotypen dargestellt werden bzw. wie können Medien als emanzipatorisch wirken, wenn die tatsächliche Kulturindustrie weiterhin von weißen Menschen dominiert wird, die selbst aus Diversität und Ermächtigung ein gut vermarktbares Produkt machen, ohne an tatsächlicher antirassistischer Arbeit interessiert zu sein? Dies findet sogar ein Echo in den realen Produktionsumständen des Films, wo zwei Schlüsselrollen, Regie und Drehbuch, vom weißen ungarischen Regisseur Ádám Császi besetzt sind. Umkehrungen finden sich aber auch: Die Figur des Regisseurs im Film wird vom Roma-Schauspieler Kristóf Horváth gespielt, während am Drehbuch auch die fünf Roma-Schauspieler Franciska Farkas, Edmond Oláh, Rómeó Pápai, Christopher Pászik und Norbert Varga mitwirkten.

Bei so viel Bemühungen zur Auseinandersetzung mit Rassismus fällt allerdings eine Leerstelle ins Auge, da nämlich keinerlei Unterscheidung und Spannung zwischen den deutschen weißen Figuren und den ungarischen getroffen wird, wobei Diskriminierung gegenüber Zentral- und Osteuropäern, bzw. die Rassialisierung letzterer durch Nord- und Westeuropäer ein bis heute weiter bestehendes Phänomen ist. Stattdessen handeln deutsche und ungarische Figuren gemeinsam in einer homogenen Einheit gegenüber den Roma-Figuren.
Entlang der vielen, oft skurrilen Szenen, in denen Performance in tatsächliche Gewalt oder Missbrauch ausufern, erinnert der Film wiederholt an The Square (2017) von Ruben Östlund, in dem sich ebenfalls humanitäre und antirassistische Absichten weißer Kunstmediatoren als hohle Unterfangen der Produktvermarktung entpuppen. In Three Thousand Numbered Pieces ist aber der Zynismus der weißen Figuren oft so überzogen, dass deren Realitätsbezug teils nur schwach scheint. Ihre offenkundige Selbstbesessenheit löst das Unbehagen weißer Zuschauender auf, die sich nun in diesen weißen Figuren nicht mehr wiedererkennen und sich dadurch davon lossprechen können, zu hinterfragen, inwiefern, sie trotz eines antirassistischen und progressiven Selbstverständnisses, dennoch zu ausbeutenden Dynamiken beitragen. Die Frage nach der ethischen Darstellung von Roma-Menschen drängt sich den Zuschauenden dennoch bis zum Ende auf, während zurück in Ungarn heruntergekommene Häuser, ausnahmslos ohne Fenster, vor der Kamera vorbeiziehen.
[1] Weiß sei hier als die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus verstanden, und nicht eine tatsächliche Hautfarbe.
[2] Hier wiederum als eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position.




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