Wodurch zeichnet sich solidarische Gemeinschaft im Zeitalter der Dekolonisierung aus? Eine Untersuchung des Gerüchts im Film Sambizanga, der lange Zeit selbst abseits kanonischer Bestenlisten gesehen und weiterempfohlen wurde.
Ein Essay von Urs Kamber
Sarah Maldorors Sambizanga (1972) ist ein Paradebeispiel für feministische, antikoloniale Filmkunst. Die angolanisch-französisch-kongolesische Koproduktion erzählt die Verhaftung des Traktorfahrers Domingos Xavier (gespielt von Domingos de Oliveira), der an der klandestinen Verbreitung agitatorischer Flugblätter beteiligt ist. Seine Ehefrau Maria (Elisa Andrade) begibt sich mit ihrem Kind auf dem Rücken auf eine lange Suche nach ihm über staubige Landstraßen in die angolanische Hauptstadt, ins titelgebende Arbeiterviertel Sambizanga, und dort von einer sie abwimmelnden Behörde zur nächsten. Maria erhält dabei immer wieder durch ihr unbekannte Frauen solidarische Unterstützung, indem sie ihr gut zureden, sie bewirten und sich um ihr Kind kümmern. Währenddessen verweigert Domingos im Gefängnis standhaft jede Aussage. Gegen Ende des Films, als er schließlich an den Folgen der körperlichen Gewalt des Verhörs stirbt, stimmt ein Chor aus mit ihm zusammengepferchten Gefangenen ein Klagelied an. Am Schock dieser Nachricht zusammengebrochen wird Maria von den anderen Besucherinnen und den sich vor den Eingangstoren des Gefängnisses Versammelten gestützt und weggetragen.
Diese Solidarität wird in einer dritten Handlungsebene genauer porträtiert. Als Domingos in Sambizanga aus dem Land Rover gezerrt und eingesperrt wird, werden einige der umstehenden Personen und ihre Reaktionen als Gegenschuss zur öffentlichen Brutalität in Nahaufnahmen dargestellt: Sie blicken ungläubig oder empört drein, raunen sich gegenseitig etwas zu. Der für die weitere Zirkulation der Neuigkeit wichtigste Zeuge ist der kleine Junge Zito (Dino Abelino), der mit seinen Freunden auf der Einfahrt vor dem Gefängnis Fußball spielt und nach dem Ereignis sogleich zum ältlichen, reglos am Fuße eines Baumes vor sich hin dösenden Petelo (Jean M’Vondo) eilt. Dieser drängt dazu, seinen Patenjungen Chico (Benoît Moutsila) aufzusuchen, aber da sie ihn vorerst nicht antreffen, lassen sie ihm durch den Portier ausrichten, dass sie an der Spitze eines Fischerstegs auf ihn warten. Chico holt sie dort ab und geht mit ihnen zum Mittagessen, wobei sie ihm Bericht erstatten. Daraufhin sucht Chico die Mutter von Bebiana (Henriette Meya) auf, die sie sogleich auf ihre dazukommende Tochter verweist. Diese, offenbar Chicos Freundin, stellt ihn wegen Gerüchten zu seinen promisken Eskapaden auf einer Party zur Rede, führt ihn aber auch zu Miguel (Talagongo), der mit einem Arm im Gips am Eingang einer Hütte sitzt. Zur weiteren Nachforschung trifft Miguel eine Nachbarin von Domingos, die ihm im Detail aus ihrer Perspektive berichtet, was geschehen ist. Nun, da Miguel im Bilde ist, steigt er auf einen Fruchttransporter und macht sich schließlich in die Stadt auf, wo er Mussunda (Lopes Rodrigues) in dessen Schneiderei aufsucht, einen der Rädelsführer der untergründigen Bewegung.
Die drei Erzählstränge treffen erst wieder zusammen, als Maria vor dem Gefängnis zusammenbricht. Der alte Petelo ist einer derjenigen, die sie vom Gefängnis stützend wegbringen. Auf einer Feier betritt der Rädelsführer Mussunda, von dem Ereignis unterrichtet, sodann die Bühne und unterbricht das Konzert, um eben diese Neuigkeit vor den Versammelten zu verkünden. Der Film endet mit einer konspirativen Unterredung an der Meeresküste, an der ein Datum zur Befreiung der Gefangenen festgelegt wird: Jener 4. Februar 1961, an dem der angolanische Unabhängigkeitskrieg offiziell beginnt.
Die Informationen rund um Domingo Xaviers Verhaftung und Ermordung und die daraus folgenden Beschlüsse zirkulieren in vielen einzelnen Sequenzen von Mund zu Mund, oft in privaten und gerade darum unverfänglichen Gesprächen von Freund:innen, Nachbar:innen und Mitstreiter:innen. Sie sind gerahmt von den jeweiligen begleitenden Umständen, die ihre Weitergabe verzögern oder verkomplizieren; so ist Chico vorerst nicht anzutreffen und später, als er mit Bebiana Miguel aufsucht, fühlt er sich – zur Widerlegung der ihn kompromittierenden Gerüchte – zu einem scherzhaften Heiratsversprechen hingerissen, das sie ihm mit einer Ohrfeige quittiert. In Sambizanga wird das Gerücht in einer Abfolge mehrerer disparater, aber inhaltlich beinahe identischer Gespräche wie ein einziges, „verdünntes, auseinandergezogenes Gespräch” (Deleuze 1991) dargestellt. Jede Weitergabe der Information lässt gewisse Einzelheiten aus, beleuchtet wiederum andere, modifiziert Details, passt sich der Situation an. Im Lauf der Zeit wird ein Zusammenhalt ersichtlich, eine Art Nachbarschaftshilfe, die Bescheid weiß und die nicht nur zuverlässig zugegen ist, als Domingos Tod verlautbart wird, sondern letztlich eine Grundlage bildet zum Beschluss der Maßnahmen, zum Umsturz der kolonialen Unterdrücker.

Diese Form der mündlichen Weitergabe wird der volatilen Informationslage gerecht und läuft damit unweigerlich der Kontrolle von Informationen durch die portugiesische Kolonialmacht entgegen. Die Dichotomie von flüchtiger, ermächtigender Rede und dauerhafter, belastender Schrift erhärtet sich in zwei Punkten. Erstens ist es gerade die Distribution der Pamphlete, die Domingos unrechtmäßiger, aber keineswegs zielloser Festnahme vorausgehen. Zweitens ist der exekutive Arm der Kolonialmacht im Verhör wie in den Sekretariaten der Gefängnisse tunlichst darauf bedacht, die Verbreitung und Archivierung schriftlicher Informationen zu kontrollieren. Das geschieht entweder in der Form eines den Schein von Rechtmäßigkeit wahrenden, aber zweifellos zu psychischem Druck und juristisch belastenden Zwecken angefertigten Verhörprotokolls oder im scheinheiligen Durchsicht der Gefangenenverzeichnisse, anhand derer Maria mit der Autorität der Schriftmacht weisgemacht wird, dass niemand genaueres vom Verbleib ihres Ehemannes weiß.
Gerade da erhält der informelle Wissenstransfer durch ‚stille Post’ einen emanzipatorischen Charakter, wo damit die Autorität des epistemischen Wissens subvertiert wird. Mit anderen Worten: Der Film ist die Darstellung davon, wie Wissen um Brutalität gerade gegen den Willen der schriftlichen Autorität zur Bevölkerung hindurchsickert. Als kollektive Strategie unterwandert dieses auf Vertrauen und Freundschaft gebaute Informationsnetzwerk jede mediale Autorität, die sich ihr aufzuzwingen versucht. Weder beruft sie sich dabei – wie das Gerücht oft verstanden wird – auf haltlose Anschuldigungen noch dient sie der Sanktionierung einer sozialen Abweichung, sondern sichert sich angesichts einer umfassenden mit medialer Autorität verhärteten Bedrohungslage gegenseitig durch dezentrale Informationsnetzwerke und -ressourcen sowie wachsame Zeitgenossenschaft und gemeinschaftliches Vertrauen ab.
Diese Dichotomie von Autorität durch Schrift und guerillahafter mündlicher Sprache wird jedoch an einer Stelle aufgehoben, als die Information und ihr Medium miteinander verschmelzen: Domingos wird im Gefängnis in seinem Henkelmann eine Nachricht zugesteckt, ein vielfach gefaltetes Papierchen, das er begutachtet, bevor er es in den Mund steckt und isst. Anders als das Gerücht oder die zu Beginn des Films verbreiteten Pamphlete hat diese Nachricht einen für sie bestimmten Zielort erreicht, an dem sie haltmachen muss, soll sie das Leben des Senders nicht in akute Gefahr bringen. Waren Chico, Petelo, Zito oder Miguel bestrebt, eine Nachricht möglichst gezielt weiter zu verbreiten, demonstriert Domingos am eigenen Körper die Wege, um den Informationsfluss auch gegen Gewalt zu unterbinden: mündliche durch beharrliches Schweigen, schriftliche durch buchstäbliches Einverleiben. Dabei erfahren wir den Inhalt der Nachricht erst, wenn Domingos das Papier zerkaut und verdaut, über die akusmatische Stimme eines Mitglieds des Untergrunds, die den Gefangenen zu Mut und Standhaftigkeit ermahnt.
Diese Wege der Gerüchte und heimlichen Nachrichten durchziehen die gesamte Handlung des Films, zur selben Zeit wie Domingos Marter und Marias Suche. In den entsprechenden Sequenzen wird der Neuigkeit die Zeit gegeben, die sie braucht, um verbreitet zu werden. Zwar wird die Information einerseits rasend schnell in Umlauf gebracht: So weiß vor Tagesende ein Großteil der wichtigsten Akteure des militanten Untergrunds über die Verhaftung, Mord und Identität Domingos Bescheid. Andererseits jedoch vollzieht sich der Wissenstransfer im Einzelnen geradezu gemütlich in informellen Geplänkeln, was die politisch brisante Neuigkeit wiederum für nicht Eingeweihte oder staatliche Kontrollorgane wie unverfängliche Plaudereien aussehen lässt. Die Weitergabe der Information ist dabei konstitutiv für eine antikoloniale Gemeinschaft und tatsächlich sind diese Sequenzen von Gesprächen, zugesteckten Nachrichten und aufgefrischten Bekanntschaften für Yasmina Price Metaphern der „rising political consciousness”. Ein agitatorisches Potenzial des Films entfaltet sich darin, dass die revolutionäre Arbeit nicht getrennt von, sondern während den und durch die freundschaftlichen Interaktionen geschieht. Das gemeinsame Fußballspiel oder Mittagessen, das Bummeln entlang an Schaufenstern, die solidarische Unterstützung durch Care-Arbeit, in einem elegischen Chor oder dem Musikfest, das ein Martyrium feiert – diese Ereignisse verlassen sich nur selten auf die Schwere und den Ernst machistischer, militanter Revolutionserzählungen, sondern behalten eine Leichtigkeit bei, die in Zeiten der umfassenden Unterdrückung Anklang finden musste und deren Darstellung demzufolge zurecht von der kolonialen Autorität als gefährlich eingestuft und unterbunden wurde.

Die Erschwernisse für Sambizanga durch koloniale wie postkoloniale Machtverhältnisse zeigten sich schon vor und während der Produktion sowie wiederum lange Zeit später, wenn es um die Restaurierung geht, und verweisen damit auf eine oft geleugnete Kontinuität. Die Produktion des Films war eng mit der in ihm porträtierten militanten Bewegung verknüpft. Zur Umgehung der portugiesischen Zensur wurde dabei zwar in der Volksrepublik Kongo gedreht, aber in enger Kooperation mit der angolanischen Befreiungsbewegung, der MPLA, sowie der französischen Filmförderung produziert. So war auch Maldorors Partner Mário de Andrade, der das Drehbuch von Sambizanga zusammen mit dem Franzosen Maurice Pons schrieb, ebenso Gründungsmitglied der MPLA wie der angolanischen kommunistischen Partei und viele der Darsteller:innen Mitglieder der MPLA.
In Angola wurde der Film bald nach Fertigstellung von der portugiesischen Regierung verboten, während er an Filmfestivals in Europa und Afrika Prämierungen feierte und eine vorerst reguläre Distribution in Frankreich und anderswo erlebte, wenigstens solange die Rechte am Film in den Händen des französischen Produzenten Jacques Poitrenaud verblieben. 1982 verkaufte dieser sie jedoch ohne Rücksprache mit Maldoror an den französischen Filmherausgeber René Château, der eine geregelte Distribution unterband und die Konservierung der bestehenden Kopien vernachlässigte, selbst nachdem die Regisseurin zusammen mit ihren Töchtern wiederholtes Interesse am Kauf der Rechte geltend machte. Erst nach langen Jahren des Rechtsstreits und nach dem Tod Maldorors 2020 gelang es, den Kauf der Rechte abzuwickeln und eine Restaurierung durchzuführen, wie es Maldorors Tochter in einem Vortrag anlässlich der Premiere der Restaurierung in Bologna nacherzählte.
Durch diese verzwickte Distributionsgeschichte war es ab 1982 kaum möglich, den Film in adäquater Qualität oder regulärer Distribution zu Gesicht zu bekommen, und auch in den Frühzeiten des Internets kursierte lediglich eine mit Rotstich versehene Kopie in mangelhafter Auflösung. Die Regisseurin wirkte dieser de facto Zensur, wo möglich, persönlich entgegen, mit asymmetrischen, guerillahaften Distributionsweisen wie der Entlehnung der eigenen Masterkopien, die den Weg nicht immer zu ihr zurück fanden. Sie betont beispielsweise im der Criterion Collection beigefügten Interview, dass sie den Auftrag des Films primär darin sieht, auf den vernachlässigten Kampf in Angola aufmerksam zu machen, für den zur Zeit des Vietnamkrieges im öffentlichen Diskurs wenig Platz war. Sein Zweck sei erfüllt, so Maldoror, wenn wieder über Angola geredet wird.
Auf einem Weg der klandestinen, informellen Zirkulation nahm Maldorors Film, in Inhalt wie in Funktion, selbst die Form eines Gerüchts an, das mit der Zeit und in analoger Ausführung mit jeder Sichtung an Bildqualität zu verlieren drohte, aber unter Eingeweihten berüchtigt war, durch mündliche Weitergabe bekannt wurde und in einer „baufälligen“ Kopie, einem esoterischen Geheimnis gleich, in Erinnerung blieb, wie sich Chrystel Oloukoi besinnt. Oloukoi weist ebenfalls darauf hin, dass die Verwaltung von filmischem Kulturerbe nach wie vor größtenteils in den europäischen Metropolen stattfindet, nicht nur da sich dort das filmische Material, sondern auch das dazu nötige Kapital und die einschlägige Infrastruktur befindet. All dies beeinflusst maßgeblich die Entscheidungen darüber, welches filmische Erbe archivierungs- und restaurationswürdig sei und welches vergessen oder in suboptimaler Qualität vernachlässigt wird. Erst durch die erfolgte Restaurierung und der Aufnahme in die Criterion Collection nach dem Tod der Regisseurin ist der Film auch in den elitären und angesehenen europäischen und amerikanischen Arthousekinos und Bestenlisten angekommen, was wiederum die Frage aufwerfen mag, ob durch die Makellosigkeit der restaurierten Bildauflösung und der Kanonisierung des Films eine Entschärfung seiner politischen Brisanz stattgefunden hat. Statt als Mittel zur Distinktion sollte die Verfügbarkeit in hoher Auflösung als das verstanden werden, was es ist: Die rechtmäßige Anerkennung und Zelebrierung einer großen Regisseurin, die mitbeteiligt war, die Grundsteine antikolonialen Filmschaffens zu legen.




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