Ein Film über eine grenzenlos innige, aber auch grenzüberschreitende Geschwisterbeziehung. Mit ihrem Debütfilm zeichnet Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Ariane Labed ein düsteres Porträt von Pubertät, Weiblichkeit und Schwesternschaft – zwischen liebevoller Familiendynamik und Dysfunktionalität.
Eine Rezension von Hannah Büttgen
Die Teenager-Schwestern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) sind unzertrennlich, fast wie Zwillinge: Sie sprechen eine Geheimsprache, isolieren sich von ihrer Außenwelt, essen das Gleiche, rasieren sich gemeinsam die Beinhaare, für die sie ausgelacht wurden, teilen sich ein Smartphone und helfen sich stets aus brenzligen Situationen. So schützt September ihre 10 Monate jüngere Schwester unaufhaltsam vor ihren sie mobbenden Mitschüler:innen und gerät dadurch selbst in riskante Situationen, wegen denen sie von der Schule suspendiert wird.
Ihre Mutter Sheela (Rakhee Thakrar), die alleinerziehend und berufstätig ist – sie arbeitet als Fotografin und Künstlerin – wirkt zu Beginn noch gelassen, entpuppt sich jedoch schnell als überfordert und hilflos. So beschließt sie nach einer erneuten Eskalation in der Schule, die in der filmischen Aufmachung allerdings unfertig inszeniert wirkt, einen Umzug an die einsame irische Westküste, in das verlassene Haus der Großmutter. Dort verkriecht sich Sheela entweder in ihrem Schlafzimmer oder in der Ortskneipe, während ihre Töchter die Tage isoliert von der Außenwelt mit Spaziergängen, einer Regenwurmfarm und gewaltvoller werdenden, ausgedachten Spielen vertreiben. Einkäufe und Schulbesuche geraten schnell in Vergessenheit.

Die Abgeschiedenheit des neuen Zuhauses, für das sie jedoch keinen Schlüssel besitzen, lässt die Gefühle zuspitzen. Schon zu Beginn des Films wird deutlich, dass September als Aufpasserin für ihre jüngere Schwester auch die dominante, entscheidende Rolle trägt. Sie bestimmt, wann ein Spiel gespielt wird, was gegessen werden darf und ob July mit dem Fahrrad zur Schule fahren kann. Septembers Kontrolldrang wird schlimmer, je emanzipierter July auftritt. Von Eifersucht und Verlustangst getrieben wird Septembers Verhalten nach und nach gewaltvoller, was sie jedoch durch spielerische Mutproben wie das Spiel „September says“, eine Interpretation des Spiels „Simon says“, kaschiert.
Das tragische Ende kommt unerwartet, als July eine Person außerhalb ihrer Familie näher kennenlernt: einen gleichaltrigen Jungen, in den sie sich verliebt. Ihre aus Illusionen gebaute Welt zerbricht und sie gleich mit.
Trotz der Nähe zu den Figuren, die durch eine Einsicht in intime Momente der Pubertät, der Hilflosigkeit und Eifersucht kreiert wird, wird man nicht schlau aus der kleinen Familie. Wem kann man trauen? Wer ist Opfer, wer Täterin? Ist die Mutter zwar überfordert, aber dennoch liebevoll oder versteckt sich hinter der Fassade eine egozentrische Lügnerin, die, gleichsam ihrer Tochter, einen Hang zu Dominanz und Kontrolle hat? Thematisiert die Regisseurin eine dysfunktionale Geschwisterbeziehung, gefangen im wirren Netz der Pubertät, oder aber ein intergenerationelles Trauma? Und ist vielleicht genau diese Ambivalenz, die Lücken in der unzuverlässigen Erzählung, relevant und realistisch?

Wenngleich Labeds Film voll ist mit beeindruckenden Kulissen, überzeugenden, wenn auch überspitzten Charakteranalysen, aufregenden Schnitten, starken Dialogen, diffusen Witzen, brutal intimen Themen und vielschichtigen Erzähldimensionen, – wie beispielsweise durch die Abimisierung, wenn Julys Verliebtsein durch eine im Fernsehen übertragene Dating-Show ausgedrückt wird – so fühlt er sich doch an, als wären der Part vor dem Plot und der nach ihm nicht ganz zusammengekommen.
Der Plot, der erst spät im Film eine eindeutige Richtung bekommt, bleibt zu wirr. Es ist bei einem sonst so detailgetreuen Drama ein Narrativ zu erwarten, das nicht logisch sein braucht, aber dennoch die mystischen, thrillerartigen Dimensionen beibehält um auf diese Weise einen Handlungswechsel einzuleiten.
Nichtsdestotrotz gelingt Labed ein tiefgründiges Dramendebüt, das sich stets am Rande des Absurden bewegt und dennoch die Dynamiken junger, pubertärer Teenager wahrheitsgetreu vermittelt.



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